Interview zum Weltgebetstagsland 2024: „Es gibt fünf Palästinas“

Interview zum Weltgebetstagsland 2024: „Es gibt fünf Palästinas“

Olivenbaum und Stacheldraht - eine Reise in ein zerrissenes Land

Die Redakteurin für unsere Regionalseiten des Mitgliedermagazins „engagiert“, Sigrid Schwab, führte am 21. September 2023 ein Interview mit der in Pirmasens lebenden Katrin Wittwer, zwei Wochen vor dem Überfall der Hamas auf Israel.

Eine zehntägige Studienreise des ökumenischen Weltgebetstagkomitees hatte Katrin Wittwer zusammen mit 16 weiteren deutschen Teilnehmerinnen im März 2023 nach Palästina geführt. Seit 2012 nimmt Wittwer auf Bundesebene an der jährlichen Vorbereitung des Weltgebetstags (WGT) teil und ist Multiplikatorin für den WGT auf Diözesan- und Dekanatsebene.

Nach ihrer Ankunft bezog die Gruppe Quartier in Bethlehem.

engagiert: Welche besonderen Menschen haben Sie getroffen?

Da war Ursula Mukarker in Bethlehem, die sich mit ihrer Organisation „Wings of hope“ (Hoffnungsflügel) für die Therapie traumatisierter Menschen einsetzt. Sie hat in Deutschland studiert und will in ihrer Heimat helfen. Sie bildet Sozialarbeiter und medizinisches Personal zu Traumatherapeuten aus. Sie sagt: „Kinder müssen erleben, wie ihr Vater, ihre Mutter misshandelt werden. Das Leben in Palästina ist von vielen Unsicherheiten geprägt und traumatisierende Erlebnisse sind allgegenwärtig.“

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Ursula Mukarker mit Studentinnen von „Wings of Hope for trauma“
Bildnachweis: Kathrin Schwarze, WGT 2024

Auch die 83jährige Jüdin Hanna Barag, eine sehr energiegeladene Frau, die sich dafür einsetzt, dass Palästinenser an den Grenzübergängen (checkpoints) menschlich behandelt werden, durften wir erleben. Ihre Gruppe „Machsom Watch“ beobachtet israelische Soldaten an den zahlreichen Grenzübergängen. Außerdem setzt sie sich, zusammen mit vielen weiteren Jüdinnen, für die Menschenrechte der Palästinenser ein.

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Hanna Barag engagiert sich für die Menschenrechte. | Bildnachweis: Kathrin Schwarze, WGT 2024

In der Stadt Haifa leben viele palästinensische Israelis. Hier gibt es die älteste feministische Organisation. Sie heißt „Frau für die Frau“ und alles ist zweisprachig: Hebräisch und Arabisch. Die Frauen der Organisation brennen für ihre Projekte: Sie bieten Frauen, die keine Papiere haben (z.B. asiatischen Hausmädchen oder osteuropäischen Heiratsmigrantinnen, die Hilfe suchen in auswegloser Situation) rechtliche Unterstützung und eine Unterbringungsmöglichkeit an. Mit Demonstrationen für Frauenrechte und Petitionen an die Politik wollen sie die Ursachen der (Geschlechter-)Ungerechtigkeit bekämpfen.

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Isha l‘ Isha, Feminist center, Haifa
Bildnachweis: Aline Jung, WGT 2024

 

engagiert: Gab es Situationen, die Sie besonders beeindruckten?

Ich habe Menschen kennengelernt, die nicht aufgeben, obwohl sie unglaubliche Härten erlebt haben. Ich war in einem Dorf, dessen Ländereien von der Wasserversorgung abgeschnitten werden sollen. Ich sah viele frisch gepflanzte Olivenbäumchen und entdeckte in einem Haus das Bild mit der Inschrift: „Wir bleiben, solange Oliven und Thymian bleiben.“

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Olivenbäumchen und Stacheldraht
Bildnachweis: Kathrin Schwarze, offizielles WGT-Material 2024

 


engagiert: Gab es auch belastende Eindrücke?

Für mich war es die dritte Reise in das Land. Es besitzt zauberhafte Landschaften. Leider haben sich die Zustände verschlechtert. Palästina ist ein zerrissenes Land, es gibt mindestens fünf Palästinas, jedes Gebiet wird von eigenen Regeln und Gesetzen bestimmt. Das Leben im vollkommen isolierten Gazastreifen ist schrecklich eingeschränkt, z.B. bezüglich der medizinischen Versorgung. Hier leben etwa 2 Millionen palästinensische Menschen, die Hälfte sind Kinder. Das Westjordanland ist besetztes Gebiet mit vielen Einschränkungen. In Ost-Jerusalem (dem arabischen Teil Jerusalems) dürfen sich die Palästinenser freier bewegen, es gibt keine Sperranlagen. Die Palästinenser, die im Kernland leben (z.B.in Nazareth) haben weniger Einschränkungen zu erdulden. Für sie gelten wieder andere Rechte und Pflichten. Dann ist da noch das 5. Palästina, das sind die vielen Palästinenser, die in der Diaspora leben. „Laut dem palästinensischen Statistikbüro lebten 2018 weltweit mehr als 13 Millionen Palästinenser. Die Mehrheit von 5,85 Millionen lebt demnach in arabischen Staaten. Im Gazastreifen und im Westjordanland gibt die Behörde eine Zahl von 4,91 Millionen Menschen an, in Israel über 1,5 Millionen Palästinenser“ (Quelle: wikipedia). Da die palästinensische Bevölkerung keine Aussicht auf wirtschaftliche Besserung hat, sind die Menschen auf Unterstützung durch die UN und die Diaspora-Palästinenser angewiesen.

Die Flüchtlingslager bestehen schon seit 1948/49, die Menschen leben hier bereits in der dritten Generation. Viele sind hoffnungslos und resigniert. Auch die von den Israelis „Sicherheitszaun“ genannte Mauer in Jerusalem hat uns besonders betroffen gemacht.

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Flüchtlingslager
Bildnachweis: Kathrin Schwarze, WGT 2024

engagiert: Haben Sie auch Nabila Espanioly vom Al Tufula Center in Nazareth kennengelernt? Mit ihr verbindet der Diözesanverband Speyer eine jahrzehntelange Freundschaft.

Ja, wir haben Nabila Espanioly in ihrer Einrichtung, dem Al Tufula Center, in Nazareth getroffen. Nazareth ist eine vorwiegend von israelischen Palästinensern bewohnte Stadt im Norden von Israel. Das Al Tufula Center hat mir sehr gut gefallen, nach meinem ersten Eindruck würde ich mein Kind dort in den Kindergarten geben. Nabila hat sehr eindrücklich erzählt, und besonders beeindruckt haben mich ihre Bilderbücher. Sie hat als Autorin eine Serie von Kinderbilderbüchern angefangen, die "unsere vergessenen Dörfer" heißt und die auf den Erlebnissen und Schicksalen von berühmten PalästinenserInnen (PoetInnen, SchriftstellerInnen, darstellende KünstlerInnen) beruht und während der Nakba (Vertreibung 1948) erzählt. Ich habe vier dieser Bücher in Nazareth gekauft und zu Hause übersetzt. Sie sind auch sehr schön illustriert.

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Nabila Espanioly vom Al Tufula Center Nazareth mit Rafah Anabtawi vom Frauenzentrum in Haifa | Bildnachweis: Kathrin Schwarze, WGT 2024

engagiert: Was wünschen Sie dem WGT-Land Palästina?

Weniger Hass und mehr Menschlichkeit!

 

Weitere aktuelle Infos zum Weltgebetstag:
https://weltgebetstag.de/aktuelles/news/10-fragen-an-den-weltgebetstag/